Erinnern Sie sich noch?

Am Tag, als ALDI vielen Knatterautos kamen

Währungsunion zwischen BRD und DDR

1. Juli 1990

Von Thorsten Oberbossel

Über die Lauenburger Seen regiert der Sommer. In Ratzeburg gehen Touristen und Einwohner ihrer Tätigkeit oder ihren Vergnügungen nach. Darunter drei aus dem Bergischen Land.

Meine Familie, Familie Oberbossel aus Wuppertal, hatte es sich vorgenommen, einen gemütlichen Urlaub mit den Fahrrädern im Schleswig-Holsteiner Land zu verbringen, nahe bei einer vor einem Jahr noch für unauslöschlich gehaltenen Grenze, die die Völker einer Nation in zwei Staaten und zwei konträre politische Lager teilte. Doch seit dem November des letzten Jahres ist alles ganz anders. Die einst so gefürchtete Grenze zur DDR wurde durch ein Mißverständnis des ZK-Pressereferenten zum Auslaufmodell. Mit den Alliierten des Zweiten Weltkrieges waren Verträge abgeschlossen worden, die darauf abzielten, die einst getrennten Freunde und Verwandten wieder in einem einzigen Staat zusammenzuführen.

Noch sind es wenige Fahrzeuge, die bestaunt, belächelt und verpönt durch die Straßen von Ratzeburg knattern und mit ihren Zweitaktmotoren den Gestank von unvollständig verbranntem Öl verbreiten: Die Vorboten einer friedlichen Invasion.

Der 1. Juli 1990. In Radio und Fernsehen wird verkündet, daß von diesem Tage an die Währung aller Deutschen die D-Mark West ist und all die Wirtschaftsregeln der westlichen Bundesländer auch im so glücklichen Osten für Aufschwung und Wohlstand sorgen sollen. Die Regierung unter dem großen CDU-Patriarchen Helmut Kohl, sieht sich am Ziel bis dato unerfüllbar geglaubter Träume. Nun können alle Deutschen in West und Ost mit den Silbermünzen mit der Adlerprägung bezahlen. Doch die Teilung hält noch an. Denn wegen ihrer im Verhältnis zum Westen schwachen Kaufkraft mußte der Umtausch der D-Mark Ost in D-Mark West im Verhältnis 2 zu 1 erfolgen, was für viele Noch-DDR-Bürger den Nachteil einbrachte, daß sie mehr Geld auf ihren Konten hatten, sie aber mit den plötzlich angestiegenen neuen Preisen nicht klar kamen. Was lag da näher, als über die bereits der Aufhebung geweihten Grenze aus Mecklenburg-Vorpommern herüberzukommen und in den auch bei Westbürgern so beliebten, weil billig verkaufenden Supermärkten einer weit verbreiteten Handelskette einzukaufen.

Wir wußten um die historische Bedeutung dieses 1. Juli 1990. Doch wie sich das praktisch äußern würde, das konnten wir uns nicht einmal im Traum vorstellen. Von einem Stundenschlag zum nächsten knatterten viele, viele Plastikautos mit Zweitaktmotoren wie die Flotte einer kolonisierenden Großmacht in die grenznahen Städte des alten Bundesgebietes hinüber. Die Besatzungen bildeten lange Schlangen in eben jenen kleinen Supermärkten und kauften innerhalb eines Tages dreimal das gesamte Sortiment auf. Das Personal kam nicht mit der Wiederaufstockung der Regale nach, die Straßen waren verstopft von Trabanten 601, und die Luft war geschwängert mit dem Brodem nicht vollständig verbrannten Gemischtreibstoffes. Die niedrigen Preise im Westen im Verhältnis zu den nun bestehenden Finanzen der Privatbürger riefen zur Kaufoffensive und zeigten überdeutlich, daß das Märchen vom einigen Deutschland bald wahr werden würde. Die nun verpönte DDR-Währung, auch als Alu-Chips verschrien, wollte niemand mehr haben. Das war einer Museumskassiererin wohl nicht klar, als wir wenige Tage nach dem Gong zur großen Einkaufsinvasion einen Besuch des Schweriner Museums für Polytechnik beschlossen und die alten Münzen aus dem Osten als Wechselgeld angeboten bekamen. Hätten wir damals gewußt, daß diese abgehalfterten Zahlungsmittel eines bankrotten Systems in zehn Jahren tausende von harten D-Mark einbringen würden, wären wir wohl nicht so abweisend gegenüber der verdutzten Kassiererin des Museums gewesen, die dachte, mit der Währungsunion könne man ja auch mit Ostmark bezahlen.

Es war noch viel zu tun. Denn es war überdeutlich zu spüren, daß die Straßen im Osten holpriger gebaut waren als die im Westen. Hinzu kamen Verkehrsregeln, die drüben, wie man's früher noch nannte, alltägliche Praxis waren und für Westdeutsche ein Orakel. Hier wäre besonders die Regelung des grünen Pfeils zu nennen, die Rechtsabbiegern erlaubt, auch bei einer roten Ampel in die rechte Querstraße einzubiegen und die Fahrt fortzusetzen. Das Preis-Vermögen-Verhältnis sollte den so euphorischen DDR-Bürgern noch auf Jahre hinaus Probleme bereiten, wenn Mieten und Kaufpreise schneller stiegen, als Löhne, Gehälter oder Altersruhegelder. Doch in diesen Tagen im Juli des Jahres 1990 wollte davon niemand so recht etwas wissen.

Es erklangen nur kritische Stimmen, die sich über das hohe Verkehrsaufkommen in den westlichen Grenzstädten äußerten, und VerkäuferInnen beklagten sich über den unbezahlten Mehraufwand in ihren kleinen Supermärkten. Doch alles in allem wollte jeder die Einheit, die gleichermaßen mit der Hoffnung nach dauerhaftem Frieden verbunden war. In eben jenen Tagen nahm das Vorhaben Deutsche Einheit die letzte politische Hürde: Kohl handelte mit dem damaligen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow aus, daß das geeinte Deutschland als vollwertiges Mitglied der NATO verbleiben sollte. Diese Einigung kostete den deutschen Steuerzahler zwar viel Geld, doch wollte niemand nachfragen, ob diese Ausgaben wirklich gerechtfertigt waren.

Vieles ist seit jenen Tagen erlebter Geschichte verschwunden. Es fahren nicht mehr soviele Trabbis durch deutsche Lande. Viele dieser kleinen, wenn nicht gerade beneideten, doch originellen Kraftwägelchen wurden ihrer Nummernschilder beraubt und einfach so in freier Natur ihrem Schicksal überlassen. Die Alu-Chips gibt es nur noch bei Versteigerungen, wo sie, wie erst gestern bekannt wurde, jenen, die sich nicht von ihnen trennen wollten, mit tausendprozentigen Gewinnen belohnen, wenn sie erst heute und in den nächsten Tagen gegen Westmark umgetauscht werden. Die Straßen des gescheiterten kommunistischen Großversuchs auf deutschem Boden dürften mittlerweile den altländischen Standards entsprechen. Der grüne Pfeil hielt als eine der wenigen gern akzeptierten, wenngleich immer noch exotischen Errungenschaften des Ostens Einzug in den Westen, jener vielbesuchte Supermarkt eröffnete auch Niederlassungen in den neuen Ländern, und der einst so alles überstrahlende Regierungschef der zu vollendenden Einheit wirft heute einen schweren Schatten der Ungereimtheiten und Gewissenlosigkeit.

© 01. Juli 2000 by Thorsten Oberbossel

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