Erinnern Sie sich noch?

Stunden der Angst

Der Absturz von "Skylab"

Mittwoch, 11. Juli 1979

Als ich noch klein war, war ich begeisterter Zuschauer bei den Fernsehserien "Mondbasis Alpha 1" und "Raumschiff Enterprise". ScienceFiction interessierte mich über alle Maßen, und ich hoffte, daß vieles von dem, was ich in den Serien sah, einmal wirklichkeit werden würde. Davon habe ich mich bis heute noch nicht ganz erholt. Ich bedauerte schon mit zehn Jahren, daß ich die Mondlandung nicht miterlebt hatte, weil ich noch viel zu klein war. Deshalb zog mich am mittag des 9. Juli 1979 eine Nachricht des Südwestfunks in ihren Bann, den meine Oma, bei der ich mich oft aufhielt, stets am Morgen im Radio eingestellt hatte. Das amerikanische Weltraumlabor Skylab, hieß es da, würde binnen der nächsten Tage auf die Erde herabstürzen. Wo genau der Aufschlagspunkt sein würde, konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden.

Noch nie hate ich von Skylab gehört. Erst heute weiß ich, daß es sich um einen Sonnenbeobachter handelte, der neun Monate lang mit vier verschiedenen Crews bemannt war, um die Sonnenaktivität und ihren Einfluß auf die Irdische Biosphäre zu erforschen. Skylab, die erste stationäre amerikanische Weltraumstation, war im Mai 1973 gestartet und hatte bis Februar 1974 ihre Pflicht treu erfüllt. Dann war sie aufgegeben worden, eine teure Angelegenheit, wenn man bedenkt, daß die Sowjets ihre Stationen über viele Jahre hinweg nutzten. Bekanntheit in der Bevölkerung erreichte Skylab lediglich wegen des Absturzes.

Einen ganzen Tag lang versuchte ich, irgend jemanden wegen der Station zu befragen, meine Familie wußte nichts, auch die Nachbarn konnten mir nichts sagen, und mein bester Freund war wegen der Sommerferien nicht zu erreichen. Also setzte ich mich in die Wohnküche meiner Oma und hörte Radio. Fasziniert verfolgte ich den ganzen Tag die Nachrichten. Ich erinnere mich, daß man noch einmal versuchte, die Triebwerke der Station zu zünden, um eine Kurskorrektur vorzunehmen, aber wenn ich mich recht entsinne, mißlang das manöver.

Eigentlich hätte Skylab erst im Jahre 1981 abstürzen sollen, aber wegen erhöhter Sonnenaktivität, so berichtet die Nasa auf ihrer Internetseite zu diesem Projekt, stellte man bereits 1977 fest, daß Skylab nicht mehr in einer stabilen Umlaufbahn sei.

Am Morgen des 10. Juli 1979 begann man sich auch in meinem Umfeld für das Thema zu interessieren. Die deutsche Weltraumleitstelle in Oberpfaffenhofen gab nämlich bekannt, daß es möglich sei, daß skylab am 11. Juli gegen mittag in Mainz und Umgebung abstürzen könne. Nähere Angaben wurden nicht gemacht, und das war wirklich eine Bombennachricht. Am Anfang spürte ich so etwas wie Spannung, denn ich hätte gern die vom Radiosprecher beschriebenen glühenden Trümmerteile gesehen, wie sie vom Himmel fielen. Dann aber, als es hieß, immer noch sehr moderat und vorsichtig, daß man den Katastrophenschutz informiert habe, und daß die Bevölkerung an den Radiogeräten bleiben solle, eine Aufforderung, die ich bislang noch nie gehört hatte, wurde mir doch langsam mulmig zumute. Was, wenn die Trümmer auf unsere Stadt, auf unser Haus fielen? Was, wenn es Verletzte und Tote gab?

Ich sprach nicht über meine erwachte Angst, es war schon schlimm genug, daß meine Oma unruhig war. An meinen Eltern lief das alles vorbei, sie fuhren morgens arbeiten und kamen abends zurück, aber ich blieb bei meiner Oma am Radio sitzen.

Die Angst, die mich hinderte, am 10. Juli abends einzuschlafen, lähmte nicht meine Begeisterung für Weltraumabenteuer und Wissenschaft, aber ich kam mit der Tatsache in Kontakt, daß es auch gefährlich sein konnte, das Abenteuer Kosmos.

Der 11. Juli 1979 war ein heißer Tag. Ich stand recht früh auf und ging hinaus, um einige Runden in unserem Schwimmbecken zu drehen, das damals hinter unserem Haus stand. Immer hatte ich meinen kleinen Radiorekorder dabei, um notfalls schnell ins Haus zu gehen, wenn etwas wichtiges kam. Ich hoffte, daß "Skylab" - damals wußte ich noch nicht, was das bedeutet - irgendwo ins Meer stürzen würde. Und als die Meldung gegen Mittag kam, daß das Weltraumlabor auf der anderen Seite der Erde, irgendwo in der Nähe Australiens niedergehen würde, war ich doch sehr erleichtert. Ich hatte mich gefragt, wie groß Skylab sei, und war bestürzt, als ich es erfahren habe, daß es hier um mehrere zigmeter ging. Unser Religionslehrer hatte uns erzählt, daß der Komet, der die Sintflut ausgelöst habe, so groß wie ein Einfamilienhaus gewesen sei, als er vor vielen tausend Jahren vermutlich in die Hudsonbay gestürzt sei. Ich fragte mich, ob Skylab ebenfalls eine Sintflut auslösen würde, und ob wir hiervon betroffen wären. Meine Oma wagte ich danach nicht zu fragen, also wartete ich auf meine Eltern. In aller Ruhe erklärte mir mein Vater, daß das Labor auseinanderbrechen und größtenteils in der Atmosphäre verglühen werde.

Gegen 20 Uhr in der Tagesschau kam die Meldung. Kurz zuvor war die Station im indischen Ozean und über einem fast unbesiedelten Gebiet Westaustraliens niedergegangen. Menschen wurden nicht verletzt. Die Anspannung löste sich. Gott sei dank war niemand zutode gekommen, und ein Flugzeugpilot, der die Trümmer hatte niedergehen sehen, war in seinen Schilderungen ganz begeistert von dem Schauspiel. Oft habe ich mir vorzustellen versucht, wie das wohl ausgesehen haben mag, doch man muß wohl in der Nähe gewesen sein, um das zu können.

Wenige Tage später schon hatte ich Skylab praktisch vergessen. Jahrelang habe ich mich nicht mehr daran erinnert. Es war ein Ereignis, das ziemlich spannend und beunruhigend war, aber aus dem allgemeinen Bewußtsein war es schnell wieder verschwunden. Nur wenige Stunden lang hatten deutsche Medien zur Vorsicht gemahnt, hatte die Möglichkeit bestanden, daß Skylab in Europa, ja sogar in Deutschland abstürzen könnte, aber mir reichte es, um einen Schrecken zu bekommen. Es war das erste mal, daß ich etwas von realen Weltraummissionen mitbekam. Und es weckte nachdrücklich meine Neugier.

© 2000, Jens Bertrams


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