"ueberschrift 5 Sonntag 12. bis Dienstag 14. April 1981
"... drei, zwei, eins. - Und jetzt sehen wir eine riesige Rauchwolke herauskommen, das ist das Kühlwasser, und das Raumfahrzeug hebt ab! - Strahlend - der Strahl ist heller als die Sonne..." (Werner Büdeler für die ARD, 12. April 1981).
Als ich diese Worte hörte und sie auf Kassette bannte, war eine zweitägige Zitterparty beendet. Am 10. April 1981 des Nachmittags hatte der erste wiederverwendbare Raumtransporter starten sollen, ein Raumschiff namens Columbia, das an den Entdecker Columbus erinnerte. Doch der Start wurde wenige Minuten vor dem Abheben wegen eines kleinen technischen Defekts unterbrochen, und ich fürchtete schon, dieses epochale Ereignis zu versäumen, weil es vieleicht doch nicht stattfinden würde.
Seit Tagen hatten die Medien von dem Neuen an diesem Weltraumstart gesprochen. Ich hatte noch nie bewußt einen Weltraumflug miterlebt, für mich war das also der erste Start, den ich Live am Fernsehschirm mitverfolgte. Aber neu war auch die Konstruktion des Schiffes. Es bestand aus einem Raumtransporter, der eher einem Flugzeug nachgebildet war - mit Tragflächen, riesigem Laderaum und Pilotenkanzel -, zwei seitlich angesetzten Feststoffraketen und einem riesigen, am Unterleib des Flugzeuges angesetzten Tank. Die Weltraumfahrzeuge, mit denen die Amerikaner zum Mond geflogen waren, mußten bei ihrer Rückkehr an großen Fallschirmen niedergehen und konnten danach nicht mehr verwendet werden, waren Reif fürs Museum. Doch dieses neuartige Gerät sollte in der Lage sein, wie ein Flugzeug zu landen, um dann mit dem nächsten Tank und den nächsten Feststoffraketen wieder ins All zu starten. Man müßte nicht für jeden Flug ein neues Fahrzeug bauen. Neu war auch die Beschichtung mit hitzebeständigen Kacheln, die verhinderten, daß das Raumschiff beim Wiedereintritt in die Atmosphäre Schaden nahm. In einer Sendung des ZDF, die am Abend des 10. April lief, zeigte der Wissenschaftsexperte des Senders, Joachim Bublatt, die Wirkungsweise der Kacheln, von denen er eine kleine im Studio hatte.
Aber der Start war erst einmal verschoben, und ich mußte mich gedulden. Zur Beruhigung hieß es, daß man es zwei Tage später noch einmal versuchen würde. Also wartete ich. Das spannendste an dem Flug war ja eigentlich gar nicht der Start, sondern die Landung. Zum ersten mal würde ein amerikanisches Raumfahrzeug landen und nicht wassern, und zum ersten mal würde es auf einem großen Flugplatz niedergehen.
John Young, der schon mit Apollo 16 auf dem Mond gewesen war, und sein Kollege Robert Crippen kletterten also am 12. April wieder in das Raumfahrzeug, hingen wieder in ihren nach hinten geklappten Sesseln, fast mit dem Kopf nach unten, warteten wieder die unendlich komplizierten Startvorbereitungen ab. Doch diesmal ging nichts schief. Um 13 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit hob das Raumschiff ab. Die erste Frage war, ob die Feststoffraketen sich lösen würden. Sie waren nach zwei Minuten leer und wurden nicht mehr gebraucht. Sie sanken an Fallschirmen zurück und konnten wieder gefüllt werden. Als dieses Manöver gelungen war, warteten die Fernsehzuschauer in aller Welt auf das Abtrennen des großen Treibstofftanks. Dessen Inhalt war nach 8 Minuten und 7 Sekunden verbraucht, und auch dieses Manöver funktionierte. Von jetzt an war der Flug an sich uninteressant. Zwar hörte ich jede Stunde Nachrichten, aber von den meisten wissenschaftlichen Experimenten verstand ich ohnehin nicht viel.
Aber auch damals wurde häufig die Frage gestellt, warum man Raumfahrt, zumal bemannt, eigentlich braucht. Begeistert habe ich damals den Standpunkt vertreten, daß Raumfahrt spannend ist, und daß man so irgendwann zu anderen Planeten vorstoßen kann, um neue Welten zu entdecken, neues Leben und neue Zivilisationen. Für mich stand immer fest, daß wir nicht die einzigen intelligenten Lebewesen im All waren und sind. Mit meinem Bruder habe ich viel darüber diskutiert. Wir stelten uns vor, daß es bestimmt außerirdische Wesen auf der Erde gebe, die uns beobachteten und vielleicht irgendwann mit uns Kontakt aufnähmen. Der Space-Shuttle ist auch heute noch für mich eine einfache und folgerichtige Möglichkeit, Fährdienste zwischen der Erde und Stationen oder Posten im Weltraum einzurichten, Transporte an Gütern durchzuführen, Astronauten zu versorgen, die sich lange auf einer Raumstation aufhalten. Und daß ein Raumschiff wie ein Flugzeug niedergehen könnte, das kannte ich bislang nur aus Science-Fiction-Geschichten. Es begeisterte mich, daß es gelungen war, ein solches Raumschiff zu erfinden und zu bauen.
Allerdings war das nur die halbe Wahrheit. Die entwicklung eines halb utopischen Raumgleiters hatte natürlich Geldmengen in Milliardenhöhe verschlungen. Die Entwicklungskosten ließen sich nur mit den künftig wesentlich billigeren Starts rechtfertigen.
Zwei Tage lang umkreisten Young und Crippen die Erde. Die Medien verfolgten den Flug aufmerksam, alles fieberte der Landung entgegen. Würden die Hitzekacheln halten? würde das Fahrgestell funktionieren? würde die ausgesuchte Landepiste lang genug sein?
Am Abend des 14. April saß ich wieder voller Spannung vor dem Fernseher. Ich hatte die Tür meines Zimmers geschlossen, wollte mich auf keinen Fall bei der Sondersendung des ZDF stören lassen. Young und Crippen waren für mich und die Medien todesmutige Helden, die als erste in ein Fahrzeug eingestiegen waren, von dem nicht klar war, ob es die tatsächlichen Belastungen bei der Landung aushalten würde. Aber Dieter Kronzucker, der auf dem Luftwaffenstützpunkt Edwards in der californischen Salzwüste stand und für das ZDF berichtete, machte einen sehr gelassenen Eindruck. Hoch offizielle Persönlichkeiten hatten sich eingefunden, um die Astronauten zu sehen, Löschfahrzeuge warteten im Hintergrund. Aber nicht etwa, um ein brennendes Raumfahrzeug zu löschen, sondern um ein heißes gelandetes Raumschiff abzukühlen, damit die Astronauten aussteigen konnten. Die Zeit wurde uns mit Berichten und Trickfilmen über das Shuttle vertrieben, bis es 20.20 Uhr war. Dann meldete die Leitstelle in Houston, daß der Kontakt mit dem Raumschiff planmäßig für drei Minuten verlorengegangen sei. Im Studio in Mainz fragte man ab und an, ob Kronzucker das Raumfahrzeug schon sehen könne, der Journalist verneinte jedoch. Auch ich war gespannt, hoffte, daß es keine Katastrophe gegeben hatte. Diese drei Minuten waren der gefährliche Teil der Landung. Hier erwärmte sich der Hitzeschild angesichts der Luftreibung bei hoher Geschwindigkeit so stark, daß er hätte verglühen können.
Doch das alles geschah nicht. Nur eine knappe Minute vor dem Aufsetzen des Raumfahrzeuges kam der Funkkontakt mit John Young wieder zustande, er meldete, daß die Besatzung wohlauf sei. Und schon konnte Kronzucker das Schiff über dem Horizont heranschießen sehen, wie es elegant niederging auf einer fünfzehn Kilometer langen Piste, damit es bis zum ende ausrollen konnte.
So endete der erste von inzwischen weit über 100 Raumflügen mit dem Space-Shuttle. Für uns sind das heute Selbstverständlichkeiten, aber damals, am 12. und 14. April 1981, da war das vollkommen neu. Daß die Technik nicht vollkommen ist, auch nicht beim Space-Shuttle, mußte die Welt im Januar 1986 erfahren, als das Raumschiff Chalanger nur eine Minute nach dem Start explodierte und sieben Astronauten das Leben kostete. Raumfahrt wird immer eine kostspielige und gefährliche Angelegenheit sein. Aber vielleicht ist es auch wichtig, daß wir in unserer Entwicklung den Mut zum Risiko nicht vollständig verlieren und uns auf neue Wege begeben, um für uns und unsere Nachfolgegenerationen eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Wer weiß, wan wir in der Lage sein werden, mit Hilfe eines dem Shuttle ähnlichen Fahrzeuges die Erde zu verlassen, um zu anderen, vielleicht bewohnbaren Planeten vorzustoßen.
© 2001, Jens Bertrams