"Liebe Mitbürger, erinnern Sie sich noch?... Als die Studenten auf die Straße gingen und die Wahrheit sagten über den Schah von Persien, da kam auch die Wahrheit heraus über den Staat, in dem wir leben." (Ulrike Meinhof)
Vor ein paar Jahren erhielt ich eine CD mit dem Namen "Deutsche Krieger" von Andreas Ammer und F. M. Einheit. Einer der drei Abschnitte dieser CD befaßte sich mit Ulrike Meinhof, der linken Journalistin und Terroristin. In ihren auf der CD zu hörenden Statements erinnerte sie auch an den Besuch des Schahs von Persien im Juni 1967 in Berlin, der der Anlaß zu den Studentenunruhen und der außerparlamentarischen Opposition (APO) war.
Als ich knapp zehn Jahre alt war, wußte ich vom persischen Schah nicht viel. Ich kannte seinen Namen - Reza Pahlewi - und wußte, daß die Bundesrepublik Deutschland ihm und seiner Frau einmal eine riesige goldene Badewanne geschenkt haben soll. Zumindest sagten das meine Eltern immer, wenn vom persischen Herrscher die Rede war. Von seinem in den letzten Jahren diktatorischen Regime, seinem Unterdrückungsapparat, von seinen Folterkellern und Massenhinrichtungen wußte ich nichts, und ich wußte auch nicht, was es mit den Rebellen auf sich hatte, die seit einiger Zeit versuchten, die Macht in Persien zu übernehmen, doch unsere Nachrichten waren voll davon.
Die persische Regierung betrieb seit über fünfzehn Jahren eine pro-westliche Politik, was zur damaligen Zeit des kalten Krieges durchaus noch eine Rolle spielte. In dem traditionell islamischen Land wurden die Sittenbestimmungen gegen Frauen gelockert, eine Bodenreform zugunsten mitelständischer und unterer Bevölkerungsschichten durchgeführt, aber eine strenge, diktatorisch-monarchische Regierungsform aufrechterhalten. Gegner dieser Regierung, die keine offene Opposition zuließ, waren die islamischen Fundamentalisten, deren Kirchenführer ihres großen Landbesitzes und ihrer Rechte größtenteils beraubt worden waren, vor allem der geistige Führer der Shiitischen Minderheit, Ajatollah Khomeini, der in den sechziger Jahren das Land hatte verlassen müssen. Seit 1976 versuchte er von Frankreich aus, einen Aufstand zustandezubringen, der ihm die Rückkehr nach Persien ermöglichte, und als die Regierung einen islamischen Protest gegen die Säkularisierung des gesellschaftlichen Lebens brutal niederschlug, brach der Aufstand auf breiter Front aus. Im Januar 1979 war die Situation für die Regierung unhaltbar geworden.
In diesen Januartagen hörte ich zum erstenmal von einer islamischen Revolution, von islamischen Gesetzen und strengen Regeln. Ich wußte zwar, daß mein Schulkamerad Mustafa fünfmal am Tag beten mußte, ich wußte auch, daß er eigentlich einmal im Jahr einen ganzen Monat tagsüber nichts essen durfte, aber viel mehr war mir nicht klar, und auch Mustafa, den ich in diesen Tagen, wo dauernd etwas über Persien in den Nachrichten war, danach fragte, konnte mir nichts dazu sagen. Spannender als die Frage nach der Religion war für mich die Frage nach der Revolution. Wer gewann diesen Streit, der für mich damals noch etwas unvorstellbares war, diesen Krieg. Warum sollte eine Regierung, die über so viele Soldaten verfügte wie der mächtige Kaiser von Persien, davonrennen und aufgeben?
Am 16 Januar 1979 hörte ich in den Nachrichten, daß der Schah von Persien in den Urlaub gefahren sei, und am nächsten Abend schon wurde mitgeteilt, daß der im Exil lebende Ajatollah Khomeni nach Persien zurückkehren würde, oder genauer gesagt, in den Iran, wie man jetzt sagte. Als ich zwei Tage später aus dem Internat nach Hause fuhr, fragte ich meinen Vater, worüber die beiden Parteien sich den gestritten hätten, und er konnte mir nur sagen, daß es um die Religion ging. Das alles war sehr verwirrend für mich, aber eines stand fest: Der Schah verlor, war anstatt in den Urlaub zu fahren aus dem Land geflohen, und er ließ seinen Ministerpräsidenten mit einem aufständischen Volk zurück. Die Tatsache, daß ich das gemein fand, brachte mich dazu, den ersten politischen Aufsatz meines Lebens zu schreiben. Mit kindlicher Naivität beschrieb ich eine Rebellion, so als stünden Millionen vor dem Palast des Herrschers und drohten, hineinzustürmen und ihn umzubringen. Auch das Wort "Generalstreik" kam in meinem Aufsatz vor, obwohl ich nicht wußte, was das war. Ich versuchte, die Ereignisse des Januar 1979 irgendwie in ein paar Zeilen zu fassen, und heute wünschte ich, ich hätte dieses Blatt noch, auf dem ich mich zum erstenmal in meinem Leben politisch äußerte.
Tatsächlich war die islamische Revolution eine sehr ernste und schwierige Sache. Nach der Machtergreifung der Revolutionsgarden und der Revolutionswächter, einer Gruppe strenggläubiger Shiiten, wurden soziale Errungenschaften der letzten zwanzig Jahre sofort zurückgedreht. Man verlangte islamisches Verhalten im Umgang und in der Kleidung. Frauen, die ohne Schleier angetroffen wurden, wurden in den ersten Monaten hingerichtet. Die Revolutionäre verjagten die Reste der alten Machthaber und veranstalteten eine Volksabstimmung über die Einführung einer islamischen Republik nach den Regeln des Khoran und der Sharia, des islamischen Rechts. Bei dieser Abstimmung gab es nur eine Ja-Antwort-Möglichkeit, und die Wahl war nicht geheim, das gehörte nicht zum islamischen Rechtsverständnis, denn wer ein Ungläubiger war, sollte erkannt werden. Khomeini übernahm als Revolutionsführer die Macht im Iran, und über viele Jahre übte er sein Schreckensregime aus. Auch heute noch kann der Wächterrat, ein vom geistigen Führer berufenes Gremium, die Entscheidungen des Parlaments einfach aufheben, weswegen Iran auf dem vom jetzigen Präsidenten angestrebten Weg zur Demokratie nicht weiterkommt.
Die islamische Republik Iran war das erste Land der Welt, das für sich in Anspruch nahm, nach den Gesetzen Allahs zu leben. Ihr folgte viele Jahre später Afghanistan, das jetzt unter der Herrschaft einer ebenso radikalen Gruppe von Moslems steht. Versuche zur Errichtung eines Gottesstaates gibt es in vielen Ländern, und oft ist es eine Protestwelle gegen eine allzu westlich orientierte Lebensweise. Der Sieg der Fundamentalisten im Iran hat die sogenannten islamischen Befreiungsbewegungen in anderen Ländern wie Algerien und Afghanistan sicherlich extrem ermutigt, und der daraufhin verstärkte Streit zwischen weltlicher und streng religiöser Gesellschaftsform dauert seither an.
Als ich damals meinen kleinen Aufsatz schrieb, hatte ich von derlei Dingen keine Ahnung. Mir war nur klar, daß etwas passierte, etwas, was in meiner Umgebung Interesse hervorrief. Aber für das Thema "religiöse Macht in einem Staat" habe ich mich immer wieder interessiert, wenn ich seither von fundamentalistischen Aufständen höre, ob in Algerien und Afghanistan, oder in Ägypten und Marokko. Für mich bedeuten viele der islamischen Regeln einen gesellschaftlichen Rückschritt, obwohl es einige daruntergeben mag, die zu ihrer Zeit, als sie im siebenten Jahrhundert entwickelt worden waren, extrem fortschrittlich waren. Ein Regime, das die Menschen in der Weise durch Angst und Schrecken fesselt, wie es im Iran seit 21 Jahren geschieht, ist mit dem eines Schahs an Grausamkeit und Mißachtung der Menschenrechte durchaus zu vergleichen.
© 2000, Jens Bertrams