Die Journalisten kämpften um einen Platz in dem kleinen Saal, in dem Kohl vor dem Untersuchungsausschuß erscheinen sollte. Der Altbundeskanzler, der Deutschland zwischen 1982 und 1998 führte, reagierte zunächst einmal gelassen auf das enorme Medieninteresse. Doch sobald er das Wort ergriff, war es der alte, streitbare Regierungschef, der sprach. In einem anderthalbstündigen Monolog rechtfertigte er sich selbst. Seine Regierungszeit seien für Deutschland 16 gute Jahre gewesen, sagte Kohl. Seine Gegner wollten dies durch eine Lästercampagne gegen ihn vergessen machen. Denn seinen Ruf zu schädigen sei das Ziel und Motiv aller Beschuldigungen gegen ihn. Die Medien wurden barsch gescholten, aber auch die Mitglieder des Untersuchungsausschusses selbst. "Die anderen Parteien profitieren genau wie wir von halb legalen Finanzierungen", erklärte Kohl.
Der Untersuchungsausschuß muß klären, ob sich die Kohlregierung durch Geldzuwendungen bei ihren Entscheidungen hat beeinflussen lasen. Bei einigen wichtigen Beschlüssen, wie bei der Panzerlieferung nach Saudi Arabien und dem Verkauf der Leuna-Werke, soll Schmiergeld geflossen sein.
Helmut Kohl hatte schon vor seiner Vernehmung angekündigt, keine Fragen zu beantworten, die die strafrechtliche Untersuchung, die immer noch gegen ihn läuft, beeinflussen könnten. Doch das war eigentlich der interessanteste Teil der Vernehmung. Auf die meisten Fragen der Ausschußmitglieder antwortete Kohl, daß er nicht informiert gewesen sei. "Davon habe ich niemals etwas gewußt", klang es andauernd. Die Ausschußmitglieder ließen deutlich erkennen, mit dem Ausgang der Vernehmung nicht zufrieden zu sein. "Das Gedächtnis läßt den Zeugen stets im Stich, wenn es interessant wird", sagte ein Ausschußmitglied in der Pause. "Kohl macht deutlich, daß er keinen Beitrag zur Wahrheitsfindung leisten will und überhaupt kein Schuldbewußtsein hat", lautete das harte Urteil eines anderen Ausschußmitglieds.
Die Untersuchung hat bis jetzt kaum brauchbare Ergebnisse gebracht. Auch ehemalige Mitarbeiter Kohls konnten auf die wichtigsten Fragen keine Antwort geben. Schriftliche Beweise von Bestechlichkeit sind schwer zu finden. In der Endphase der Regierung Kohl wurden Unmengen an Material vernichtet. Gestern erklärte ein unabhängiger Ermittler vor dem Ausschuß, daß gerade die Akten über verdächtige Regierungsentscheidungen verschwunden sind. Kohl bezeichnete diese Aussage als "völligen Unsinn". Er nannte es eine Schande, daß seine früheren Mitarbeiter nun so belastet werden.
Das Verhör von Helmut Kohl war ein aufregender Moment in der Geschichte der Bundesrepublik. Doch die Antwort auf die Frage, ob seine Regierung käuflich war, hat sich auch jetzt noch nicht ergeben.
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