Das deutsche Wirtschaftsaufkommen ist im vergangenen Quartal um 3,25 Prozent gestiegen. Das ist die höchste Steigerungsrate seit der Wiedervereinigung zwischen Ost- und Westdeutschland. Trotzdem profitieren Bürger in der ehemaligen DDR weniger vom günstigen Wirtschaftsklima.
Die Steigerungsrate der deutschen Wirtschaft war in den letzten Jahren geringer als der europäische Durchschnitt. Die Wiedervereinigung vor ungefähr 10 Jahren sorgte dafür, daß viele Investitionen im früheren Ostdeutschland getätigt werden mußten. Gleichzeitig stiegen die Arbeitslosenzahlen. Nun, da die Ökonomie auf ihrem Höhepunkt angelangt ist, ist der größte Unterschied zwischen Ost und West eben die Arbeitslosenquote.
Die Arbeitslosenquote liegt im Westen bei 7,5 Prozent gegenüber 17,5 Prozent im Osten. "Die Deutschen haben die wirkliche Wiedervereinigung noch lange nicht erreicht", meint Kees van Paridom, Wirtschaftsexperte für Deutschland an der Erasmus-Universität in Rotterdam. "Neben dem Unterschied bei der Arbeitslosigkeit sind auch die Einkommen noch immer nicht angeglichen. In Westdeutschland ist das Einkommen höher und wächst schneller. Die Unterschiede zwischen beiden Landesteilen werden so stets größer", meint Van Paridon.
Viele Ostdeutsche haben Schwierigkeiten, sich an die freie Marktwirtschaft anzupassen. Zwar konnten sie sich in ihrem alten System nicht den westlichen Luxus leisten, doch dem gegenüber stand die Tatsache, daß sie von der Geburt bis zum Tod durch den Staat versorgt wurden. Die Unsicherheit ist vor allem für ältere Menschen in der ehemaligen DDR schwer zu ertragen. "Sie sehen nicht ein, daß die höheren Löhne und der höhere Lebensstandard auch ein erhöhtes Risiko mit sich bringen. Das wirkt sehr verwirrend", erklärt Van Paridon.
Kees Van Paridon verbindet mit der Unsicherheit in der ehemaligen DDR ein schnell wachsendes Problem. "Das dürfte eine Ursache sein für das verstärkte Auftreten rechtsextremistischer Parteien im Land. Ich kann mir vorstellen, daß Menschen mit wenig oder gar keiner Ausbildung in wirtschaftlich schwachen Gebieten sich fragen, warum sie plötzlich keinen Arbeitsplatz mehr haben und warum alles so unsicher geworden ist. Und anstatt die sich verändernde Wirtschaft verantwortlich zu machen, suchen sie einen Sündenbock. Das wird durch die extrem rechten Parteien stark gefördert."
Ob die Deutschen den Wirtschaftsaufschwung weiter forcieren können, ist noch lange nicht klar. Einige Bedrohungen liegen schon auf der Lauer. So muß man sich fragen, ob die manchmal militanten Gewerkschaften an den mäßigen Lohnrunden der letzten Jahre festhalten werden. Nun, da die Betriebe wieder mehr Gewinn machen, ist die Versuchung groß, auch wieder höhere Lohnforderungen zu stellen. Außerdem ist die deutsche Wirtschaft sehr einseitig auf die Industrie ausgerichtet, und der Dienstleistungssektor ist noch sehr schlecht entwickelt. Da die anderen Länder trotzdem den Umstieg auf den weniger kapitalintensiven Dienstleistungssektor wagen, könnte dies das Land mittelfristig wieder in wirtschaftlichen Rückstand bringen.
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