Der Einstieg in den Ausstieg

Die Grünen und das Dilemma mit dem Atomstrom

28. Juni 2000

Am Ende war das Aufatmen doch keine Befreiung. Von einem Ruck in Deutschland war nichts zu spüren, als Bundeskanzler Schröder den Kompromiß mit der Atomwirtschaft bekanntgab. Im Gegenteil, die Vereinbarung löste auch in der eigenen Koalition gespaltene Reaktionen aus. Da waren die Industriefreunde des Kanzlers, die den Vertrag begrüßten, die Realos der Grünen, die zähneknirschend JA sagten, und da war der fundamentale Flügel der ehemaligen Ökopartei, der vehement ablehnte. Warum?

Die Vereinbarung der Bundesregierung mit der Atomindustrie ist ein Kompromiß, einer, der für die Grünen bedeutet, daß sie noch lange auf den Erfolg ihrer Politik werden warten müssen. Allen Atomkraftwerken wird eine durchschnittliche Betriebsdauer von 32 Jahren zugestanden. Somit müßte das letzte AKW im Jahre 2021 vom Netz gehen. Doch ist es möglich, daß die Industrie bestimmte Anlagen vorher abschaltet, dafür dürfen dann andere Kraftwerke länger arbeiten. Das ist ein flexibler Ausstieg, wie ihn die Industrie forderte. Die Grünen hingegen hatten immer auf einem schnellen, sofort spürbaren Ausstieg bestanden. Doch dabei hatte die Partei außer acht gelassen, daß man dann sofort wieder auf sehr umweltschädigende Energiequellen wie Kohle zurückgreifen muß, um den steigenden Bedarf der bundesdeutschen Gesellschaft zu decken. Doch diese Lücke in der Umweltverträglichkeit der Grünen ist erklärlich, wollen sie doch im Jahre 2002 wiedergewählt werden, obwohl sie in der Koalition kein besonderes Profil besitzen.

Bei all den polit-taktischen Überlegungen ist es aber notwendig, den realen Gegebenheiten ins Auge zu sehen. Deutschland hat als erstes Industrieland der Welt einen unumkehrbaren Vertrag über den mittelfristigen Ausstieg aus der Atomkraft abgeschlossen. Deutschland wird also aussteigen, und der Industrie bleiben noch ungefähr 20 Jahre, bis eine sichere, neue Energiebeschaffung ermöglicht werden muß. Schon aus Eigeninteresse wird man in den Chefetagen der Stromindustrie die Erschließung neuer Energiequellen vorantreiben, denn man will ja auch Gewinn machen. Auf die Kohle kann man sich nicht mehr lange verlassen, dann wird sie auch aufgebraucht sein. Mittelfristig gesehen heißt das, daß Deutschland eine atomenergiefreie Zone werden wird. Dies ist durchaus ein politischer Erfolg, auch ein Erfolg der Grünen. Es gibt keinen Grund, ihn nicht entsprechend zu vermarkten. Allerdings muß man zugeben, daß die Vermarktung dieses Erfolges schwer fallen dürfte, denn die Deutschen sind es nicht gewohnt, über den Tellerrand der nächsten Wahl hinauszuschauen. Wie sollten sie auch. Die Medien tun auch stets so, als gebe es nur das Aktuelle. Aber eine Regierung muß man anders beurteilen, sie sollte, was selten genug vorkommt, langfristiger denken und handeln.

Es bleibt also dabei: Der Atomkompromiß ist ein großer Erfolg. Zwar steigen wir nicht gestern und auch nicht heute auf einen Schlag aus, aber am Ausstieg selbst kann es keinen Zweifel mehr geben, es sei denn, eine künftige CDU-Regierung kündigt den Vertrag. Doch eigentlich sollten alle froh sein, diese so gefährliche Energiequelle loszuwerden. Daß es einigen von uns dabei nicht schnell genug geht, ist verständlich, jetzt aber den Stab über die Regierung zu brechen, hielte ich für kurzsichtig und falsch. Kompromisse erfordern nun mal, daß jeder etwas von seiner Position preisgibt. Die Industrie wird auf den Atomstrom verzichten, und wir werden uns mit einem langsamen Ausstieg begnügen müssen. Das macht den dadurch eingetretenen Erfolg aber keineswegs kleiner.

Die meisten von uns werden es noch erleben, daß Deutschland zur atomfreien Zone wird. Das allein ist die Sensation, die im Land kaum einer verstanden hat. Wer sich mit Politik auskennt, der weiß, daß es dort nichts zum Nulltarif gibt. Aber die Grünen, die Umweltlobby und die Anti-AKW-Aktivisten dürfen ihren späten Erfolg feiern. Auch wir sollten befreiter aufatmen und hoffen, daß es in den verbleibenden zwanzig Jahren keine Atomunfälle gibt.

© 2000, Jens Bertrams

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