"Eine dunkle Wolke hat sich verzogen", kommentierte der amerikanische Präsident Bill Clinton den gestern erfolgten Rücktritt Milosivics nach dem Volksaufstand von Donnerstag. Und er hat zweifellos recht, für den Moment hat sich die dunkle Wolke Milosevic verzogen, auch wenn der ehemalige Präsident versprach, bei den nächsten Wahlen wieder anzutreten. Sein Nachfolger ist der eindeutige Sieger der Präsidentschaftswahlen vom 24. September, der Kandidat des Oppositionsbündnisses DOS, Kostunica. Was wir von ihm zu erwarten haben, steht noch nicht fest, doch allzu leicht glaubt man in demokratischen Staaten, eine demokratische Revolution bringe auch eine demokratische und humanistische Regierung ans Ruder.
Tatsächlich läßt sich der Aufstand in Belgrad vom 5. Oktober 2000 mit anderen Befreiungsbewegungen in verschiedenen osteuropäischen Staaten vergleichen. Die Massen demonstrierten, die Medien fielen ab, Polizei und Armee hielten sich neutral und der Machthaber gab auf. Trotz der Zusammenstöße kann von einer fast friedlichen Revolution gesprochen werden, um eine demokratisch legitimierte Regierung an die Macht zu bringen. So weit, so gut. Aber wer ist Kostunica?
Der neue jugoslawische Präsident ist ein klarer serbischer Nationalist. "Erst Serbien, dann Demokratie" lautete einer der Slogans in seinem Wahlkampf. Schon seit den siebziger Jahren engagiert er sich für serbisch-nationale Belange und wurde dafür vom Tito-Regime von der Universität geworfen. Ende der achtziger Jahre gründete er mit anderen heute prominenten Oppositions- oder jetzt Regierungspolitikern die Demokratische Partei, die einen nationalistischen Kurs verfolgte. Als sie diesen Kurs drei Jahre später mäßigte, gründete er eine neue Partei, die demokratische Partei Serbiens. Diese ist bis heute nationalistisch gesinnt.
Im Westen sollte man aufpassen. Auf der Tagesordnung des neuen Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien steht die Wiederherstellung der Souveränität über das Kosovo, das derzeit von den Vereinten Nationen verwaltet wird, fast an oberster Stelle, nach der Wiederherstellung normaler Beziehungen zur Teilrepublik Montenegro. Sodann will sich Kostunica um unterstützung für die Serbische Republik in Bosnien bemühen und auch eine "Normalisierung" der Beziehungen zur Europäischen Union wird propagiert. Hier allerdings dürfte es Schwierigkeiten geben. Zwar wird die EU die Sanktionen gegen Jugoslawien aller Voraussicht nach aufheben, doch sollte sie nicht blind darauf vertrauen, daß nun alles gut wird. Kostunica nämlich wird auf keinen Fall mit dem internationalen Kriegsverbrechertribunal zusammenarbeiten. Er hat bereits unmißverständlich mitgeteilt, daß er diese Intitution für eine US-Amerikanische Einrichtung halte, mit deren Hilfe die US-Administration Druck ausüben wolle und könne, um ihre Macht zu festigen. Kostunica ist ein antiamerikanisch gesinnter Politiker.
Der Volksaufstand vom 5. Oktober in Belgrad hat eine nationalistische Regierung an die Macht gebracht. Abgesehen davon, daß heutzutage niemand die Stabilität des Bündnisses einschätzen kann, das schon oft eher auseinanderbrach, als sich stark zu tzeigen, hat die Massenbewegung auch eine Strömung zur bestimmenden Kraft Jugoslawiens gemacht, die dem Milosevic-Regime in manchen außenpolitischen Punkten gar nicht so fern steht. Nationalistisch gesinnt waren meines Erachtens auch die serbischen Sozialisten. Natürlich wäre es ein Fortschritt, wenn in Serbien und Montenegro nun endlich demokratische Spielregeln herrschen würden. Möglich, daß dieser Teil der westlichen Hoffnungen sich in die Tat umsetzen läßt. Kostunica hat angekündigt, daß es eine neue Verfassung und ein wirklich demokratisches Parlament innerhalb der nächsten achtzehn Monate geben soll. Doch ob sich am Verhältnis zu den Minderheiten wirklich etwas ändert, bleibt abzuwarten. In einem Land, das fast nur aus Nationalisten besteht, ist damit eigentlich kaum zu rechnen.
"Großserbien" ist ein Schlagwort Kostunicas. Es war auch ein Schlagwort Milosevics. Ich hoffe sehr, daß wir uns nicht irgendwann wünschen werden, daß die dunkle Wolke, die sich nun zumindest vorübergehend verzogen hat, wieder an ihrem Platz wäre. Dann nämlich müßten die Bevölkerungen von Serbien, Montenegro und Bosnien weiterhin um ihre Sicherheit fürchten, vom Kosovo ganz zu schweigen.
Es ist ein Schwieriges Unterfangen, auf der Balkanhalbinsel Frieden zu schaffen. Ein Ausgleich zwischen den Nationalitäten ist kaum zu erreichen. Vielleicht kann die Europäische Union hier eine wichtige Rolle spielen. Es wäre nötig, mäßigend auf den neuen Parner in Belgrad einzuwirken.
© 2000, Jens Bertrams