Auf breiter Front angetreten

Die "Staatspartei" CDU und die F. D. P. wittern Morgenluft

Gedanken nach dem Aufkommen des Trittin-Skandals

Dienstag, 23. Januar 2001

Geschichten wie diese schreibt nur das leben, schrieb sinngemäß heute eine große deutsche Tageszeitung. Sie bezog sich auf en Zufall, daß sich Jürgen Trittin und Michael Buback, Sohn des 1977 von Raf-Terroristen ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, im Zug trafen, in dem Buback fragte, ob sich Trittin von einem Schmähnachruf distanziert habe, der vor 24 Jahren in einem Göttinger Studentenblatt erschienen sei, wo Trittin damals student war. In dem Aufruf hatte ein sogenannter "Stadtindianer", ein anonymer Kommunist, seiner "klammheimlichen Freude" über den Tod des Generalbundesanwaltes ausdruck verliehen, gleichzeitig aber vor weiteren Gewalttaten gewarnt. Trittin soll Buback geantwortet haben: "Warum sollte ich mich distanzieren? Haben Sie den aufruf zuendegelesen?" Sofort verlangte die Opposition, nachdem Buback den Gesprächsfetzen in der abends stattfindenden ARD-Talkshow "Sabine Christiansen" öffentlich gemacht hatte, einen Untersuchungsausschuß gegen Trittin und natürlich gegen Fischer.

An eine solche Ausweitung der Hetze gegen linke deutsche Vergangenheit habe ich nicht geglaubt, als ich vor einer Woche den Kommentar über Bettina Röhl und Joschka Fischer schrieb. Ich wußte wohl, daß es im Bundestag eine aktuelle Stunde zu diesem Thema geben würde, und die verlief denn auch so schlammschlachtartig, wie ich mir das gedacht hatte. Die CDU verteufelte eine ganze Generation, aber sie muß sich ja darüber keine Sorgen machen, denn die alt-achtundsechziger sind inzwischen Zahnlos geworden und wehren sich größtenteils nicht mehr. Dabei hatten sie ja bei aller Radikalität einige Gründe für ihre "Revolte", nicht alles gute Gründe, aber nachvollziehbare Gründe, und natürlich hat diese Bewegung in Deutschland Reformen vollbracht, die sonst wahrscheinlich ausgeblieben wären. Aber natürlich ging es der Opposition nicht darum, die Wahrheit über Fischers Vergangenheit zu ermitteln, denn die war bekannt, sondern darum, das Image der Regierung zu beschädigen, wenn nicht durch aktuelle Themen, dann durch die Vergangenheit. Der Außenminister hat immer zugegeben, militant gewesen zu sein, und plötzlich wurde das zur neuen Nachricht. Und als das allein nicht fruchtete, wurden andere Vorwürfe erhoben: In seinem Haus sollen Waffen gelagert haben, er soll Hans-Joachim Klein sein Auto für Waffentransporte zur Verfügung gestellt haben, er soll Terroristen beherbergt haben und vieles mehr. "Bald sagen sie noch, Cohn-Bendit und ich seien Schuld am dritten Weltkrieg", kommentierte er letzte Woche die immer absurder werdenden Vorwürfe. Die stammten nicht mehr von Bettina Röhl, denn die Sache war zum Selbstläufer geworden. Frau Röhl und ihre Recherche kam dieser breit angelegten Campagne gegen die REgierung nur recht. Jetzt sind die CDU und die F. D. P. auf breiter Front zum Angriff angetreten. Es geht um BSE, es geht um Versäumnisse in der Schweinemast, es geht um Uranmunition der NATO, es geht um Joschka Fischer, es geht um Jürgen Trittin, es geht um die Rentenreform.

Natürlich hat eine Opposition das Recht, eine Regierung zu kritisieren. Aber viele der Krisen, die wir jetzt haben, sind schon bei Kohl entstanden, sind Erbe der Vorgängerregierung. dann muß man auch dieses sagen dürfen. und noch etwas: kritik sollte nicht mitel zum selbstzweck, zum Machtgewinn sein, sondern der Wahrheitsfindung, der objektiven Verurteilung verurteilungswürdiger Dinge gelten. Man kann beispielsweise einem Minister nicht vorwerfen, daß er sich von einem Schriftstück distanzieren soll, daß er - wie die Frankfurter Rundschau zutreffend schreibt - "weder verfaßt noch gebilligt hat." Man kann keine Rücktrittsforderung gegen diesen Minister erheben, der damals lediglich als einer unter vielen, übrigens uch 48 Professoren, gesagt hat, daß man alle Meinungen hören dürfen sollte. Gibt es nicht genug zu tun, muß man da solche kleinkarierten Profilierungsversuche fahren?

Offensichtlich muß man. Mit welcher überlegenen Gelassenheit Angela Merkel am letzten Mittwoch die SPD-Regierungen Brand und Schmidt für ihre Zwecke requirierte, mit welcher Überheblichkeit, staatstragenden Überheblichkeit möchte man sagen, die "Staatspartei" nun Rücktritte und Untersuchungsausschüsse fordert, weil ein Minister einmal vor langer Zeit etwas nicht getan hat, von dem er hätte wissen müssen, daß er es in 25 Jahren einmal hätte getan haben sollen, beweist nur, daß es dieser politischen Gruppe rechts von der Mitte um die Wiedergewinnung der Macht geht. Und anstatt in Krisenzeiten zusammenzuarbeiten, wie es BSE-Katastrophe, Uranaffäre und Rentenreform erfordern würden, wird da mit bewährter Staatsnotstandsschreierei auf die Leute eingedroschen, die offen und ehrlich sind, ihre Vergangenheit zugeben, anstatt sie per Ehrenwort zu verleugnen, die Transparenz statt Aussitzen predigen, auch wenn sie dabei Fehler machen, wie jede Regierung. Nur der Wunsch nach Rückkehr an die Macht, ohne Rücksicht auf Verluste, kann eine Volkspartei zur Verdammung einer ganzen Generation führen, die Ideale hatte, und mögen manche davon noch so verquer gewesen sein. Wer gibt ihnen, den selbsternannten Wahrern von Demokratie und Rechtsstaat denn das Recht, über die Gedanken und Gefühle ihrer Nachfolgegeneration zu Gericht zu sitzen, oder schlimmer noch, über die Gedanken und Gefühle ihrer Mitgeneration. Aber die CDU war ja ein anderer Staat, selbst 1968!

Nein, die politische Verlogenheit aus taktischem Kalkül heraus, die nur den Faschisten und den hohen Christen mit schwarz-weißer Weste vom Schlage eines Helmut Kohl oder Friedrich März dienlich ist, kotzt mich an, verzeihung, denn sie wird nur zu dem Zweck durchgeführt, vom Spendenskandal, den Gaug-Unterlagen und dem Ehrenwort, das mehr Wert ist, als das Gesetz, abzulenken, und davon, daß man diese Regierung demontieren will, daß man die Offenheit ausnutzt, um zu schmähen und dafür Sorge zu tragen, daß der Wähler wegen eines unguten Gefühls im Jahre 2002 wieder dort sein Kreuzchen macht, wo die Moralisten es haben wollen. Und die Medien, die spielen mit in diesem Einheitsbrei moralischer Hyperentrüstung, einer Scheintugend, über die die Kids von heute lachen, brüllen geradezu! Und die Regierenden und die Moralisten sind sich dann plötzlich in dem Urteil über diese, neue Generation einig und halten sie für unpolitisch oder Faschismusgefährdet. Ist das ein Wunder?

Ist das ein Wunder in einem Land, in dem politische Erregung künstlich aufgebauscht wird, wenn es den Machtinteressen der sich selbst im Hintergrund als Staatspartei definierenden CDU dienlich ist? Ist es ein Wunder in einem Staat und einer Gesellschaft, die angesichts wahlkampftaktischer Versprechungen und mangelhaftem Zusammenwirken in wichtigen politischen Fragen nur noch abstumpft und unpolitisch werden kann, weil sie sich verschaukelt vorkommt?

Die Machtstrategen um Merkel und März, Gerhard und Westerwelle haben ihren Angriff gestartet. Die Regierung wankt, es gibt Probleme, also versetzen wir ihr den Todesstoß. Wenn das Benzin teuer wird, dann liegt das an der sinnlosen Ökosteuer, auch wenn es an der Preispolitik der OPEC-Staaten viel mehr liegt. Wenn dringende Reformen nicht zustandekommen, liegt es an der Uneinsichtigkeit der Regierung, auch wenn sich die Opposition jedem vernünftigen Gespräch verweigert. Und wenn Soldaten sterben, dann ist es die Schuld des Verteidigungsministers, weil der nicht gewarnt hat, auch wenn er nichts von der Uranmunition wußte und hier sogar noch seinen Vorgänger in Schutz nimmt. Wenn er aber dann die Amerikaner zur Rechenschaft ziehen will, schreien dieselben Leute und blöken, er setze das deutsch-amerikanische Verhältnis aufs Spiel. - Und jetzt die Minister, die sich für Dinge verantworten sollen, die sie nicht getan haben. Ich kann es nicht mehr hören, dieses verfrühte Wahlkampfgeschrei!

© 2001, Jens Bertrams


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