Deutschlands kleiner Hitler

Die große Gefahr des Amtsrichters Schill

Von Jens Bertrams

Donnerstag, 31. Januar 2002

Die Terroranschläge vom 11. September verdeckten in den letzten Monaten viele wichtige Ereignisse. Keiner achtete mehr besonders auf innenpolitische Geschehnisse, und wenn man es tat, so waren sie bestenfalls eine Randnotiz wert, oder sie wurden mit der Terrorismusbekämpfung in Zusammenhang gebracht. Die hamburger Wahlen waren ein solches Beispiel. Nur 14 Tage nach den Anschlägen in New York und Washington, und nur knapp eine Woche, nachdem bekannt geworden war, daß der Hauptattentäter eine Weile in Hamburg gelebt haben soll, fanden dort, in der Freien und Hansestadt Hamburg Bürgerschaftswahlen statt. Nun ist die Neigung der meisten Bundesbürger, Landtagswahlen uninteressant zu finden, weil sie einen selbst ja in der Regel nicht betreffen, allseits bekant. Und doch gab es bei dieser Landtagswahl ein erstaunliches Ergebnis. Der mit "Law-And-Order-Mann" nur unzutreffend beschriebene Amtsrichter Ronald Schill, der sich zu diesem Zeitpunkt wegen Rechtsbeugung vor dem Bundesgerichtshof verantworten mußte, erhielt mit seiner "Partei Rechtstaatliche Offensive" auf Anhieb 19 % der Stimmen. Angesichts eines solchen Erfolges lohnt es sich schon einmal, nach dem Programm zu fragen, das der jungen Partei einen so ausgreifenden Wählererfolg bescherte.

Die Schill-Partei, wie die Bewegung vereinfachend genannt wird, setzt sich für einige Maßnahmen zur Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung in Hamburg und letztlich im gesamten Bundesgebiet ein. Dazu gehören ein verschärfter und abschreckender Jugendarrest, massive Einschränkung der Rechte ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger und die Streichung des Asylartikels aus dem Grundgesetz und seine Ersetzung durch einfaches Recht, das dann auch einfacher abzuändern oder aufzuheben wäre. Ganz abgesehen davon, daß diese Forderung verfassungsrechtlich bedenklich ist, weil kein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden darf, was auch Amtsrichter Ronald Schill wissen sollte, sind diese Forderungen massiv darauf gerichtet, unseren multikulturellen Staat aus den Angeln zu heben. Auch der Sozialstaat wäre in erheblicher Gefahr, würde die Schill-Partei ihr programm durchsetzen können.

Nun ist Ronald Schill mit Sicherheit nicht der Erste Rechtsradikale in der Bundesrepublik, der es bis in ein Landesparlament geschafft hat. In den sechziger Jahren gab es die NPD, die in verschiedene Landesparlamente einzog, und in den achtziger und neunziger Jahren verfügten und verfügen zum Teil die Republikaner oder die Deutsche Volksunion in einigen Ländern über Parlamentssitze. Mit dieser Art von Gefahr, so sollte man meinen, würde ein demokratisches System auf die Dauer fertig. Das wirklich gefährliche ist, daß CDU und F. D. P., die in Hamburg schon lange auf eine Möglichkeit zum REgierungswechsel warteten, sich der Schill-Partei als Koalitionspartner bedienten, um einen solchen Machtwechsel durchzuführen. Bislang gab es zwar rechte Parteien in Landesparlamenten, niemals aber gingen sogenannte demokratische Parteien so weit, mit einer faschistoiden Organisation eine Koalition einzugehen. Nun aber sitzt Amtsrichter Ronald Schill als hamburger Innensenator am Kabinettstisch. Er ist, wie seinerzeit Herrmann Göring in Preußen, verantwortlich für Polizei und Verbrechensbekämpfung. Daswar genau der Platz, den Schill haben wollte.

Tatsache ist, daß man seit Amtsantritt der neuen Hamburger REgierung nicht viel von Ronald Schill und seinen Plänen hörte, die er vollmundig im Wahlkampf angekündigt hatte, die Stadt zu säubern und 10.000 Polizisten zusätzlich einzustellen beispielsweise. Es scheint so, als sei es ihm nur auf die Macht, nicht aber auf die Erfüllung seiner VErsprechen angekommen. Manche mögen aufatmen, doch ich sehe das Problem als ein prinzipielles an. Eine demokratische Partei sollte nicht mit einer Organisation koalieren, deren Ziele so offenkundig am Rande der vom GRundgesetz verfaßten Gesellschaft zu suchen sind. Mit der Unterschätzung von Adolf Hitler begann in Deutschland das dunkelste Kapitel seiner Geschichte. In Hamburg nun hat die bis vor kurzem von Krisen geschüttelte CDU ein altes Tabu gebrochen. Sie beendete die stillschweigende Ausgrenzung nichtdemokratischer Kräfte aus der parlamentarischen beziehungsweise exekutiven Arbeit. Macht für die Staatspartei CDU kann dann auch nach meiner Ansicht der einzige Grund für einen solchen Eklat sein. Nach 56 Jahren sitzt in Deutschland erstmals wieder eine nationalistisch gesinnte Partei an einem Kabinettstisch. Und ganz egal, wie viele ihrer radikalen Forderungen sie in einem Koalitionsvertrag umsetzen konnte, sie ist dabei. Und diese Tatsache an sich markiert die Wende im Umgang mit unserer Geschichte und unserem Staat, die in der Politik Einzug zu halten scheint. Die Gefahr sind nicht die Maßnahmen des Herrn Innensenators Schill, sondern die Gefahr ist die Gleichgültigkeit, mit der die Bevölkerung der Bundesrepublik es sich gefallen läßt, daß Nationalisten nun wieder regierungsfähig sind. Wehret den Anfängen lautet ein altes Sprichwort. Es wäre für uns alle besser gewesen, die CDU und die F. D. P. hätten sich in Hamburg daran gehalten.

© 2002, Jens Bertrams


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