Ich lernte Ottmar Miles-Paul im Januar 1998 kennen, als ich mit meinen Vorstandskollegen des Vereins "Behinderte in Gesellschaft und Beruf e. V." unsere Vorbildorganisation besuchte. Jeder Behinderte, der irgendwie in der Bewegung taetig war, sprach von Ottmar als einer Art Zugpferd der Bewegung, einem Mann, der konsequent die Ansicht vertrat, dass behinderte Menschen ihre Interessen selbst vertreten sollten, und nicht - wie ueblich - durch karitative Einrichtungen der Behindertenarbeit. Ich erwartete einen ernsten, irgendwie abgehobenen Menschen, der durch seinen Bekanntheitsgrad zu einer oeffentlichen Person geworden war. Aber Ottmar war ein froehlicher, sprudelnder Typ mit einer Fuelle an Vorschlaegen und Ideen fuer unsere Arbeit. Sein Ziel war es immer, die Behinderten zu einer politischen Bewegung zu machen. Wir sollten nach seiner und unserer Ansicht in die Lage versetzt werden, unsere Anliegen nicht als Bittsteller gegenueber der Politik, sondern als einflussnehmende Gruppe vorzubringen. An diesen Grundsatz hat er sich immer gehalten. Wenn wir ihn fragten, ob er uns helfen koenne, eine Foerderung durch die Aktion Sorgenkind zu erhalten, hat er das bejaht, aber gleichzeitig immer darauf hingewiesen, dass man sich damit in politische Loyalitaeten begebe. Trotz einer engen Kooperation mit politischen Institutionen und Gremien, vor allem aber mit einzelnen Verantwortlichen, war und ist er stets bemueht, die Eigenstaendigkeit der von ihm vertretenen Interessengruppe zu wahren.
Als BiGuB e. V. im November und Dezember 1998 gegen die Benennung eines nichtbehinderten Behindertenbeauftragten der Bundesregierung offen protestierte und sogar eine Internetcampagne startete, wurden wir von Ottmar unterstuetzt, er unterschrieb sogar den offenen Brief. Die Lebenshilfe beispielsweise, ein klassisches Fuersorgeunternehmen, konnte und wollte uns nicht unterstuetzen, da man sich allzu schnell mit dem neuen Mann angefreundet hatte. Als einige Monate spaeter uns allen klar war, dass Karl Hermann Haack im Amt bleiben wuerde, war Ottmar aber auch in der Lage, ihn als faktischen Zustaendigen in der Regierung und als einen unserer Gespraechspartner zu akzeptieren, ohne freilich seine Meinung zu aendern, die ganz klar eine betroffene Person auf dem Posten des Behindertenbeauftragten fordert. Politischer Realismus und Standhaftigkeit in der Sache waren und sind bei ihm nicht ausgeschlossen, widersprechen sich nicht einmal.
Neben den klassischen Wegen der Behindertenarbeit wie der Foerderung von Beratungsprojekten durch staatliche Stellen beispielsweise, ging Ottmar in seiner Arbeit auch ganz bewusst neue Wege. Fundraising und social Sponsoring waren hier die Schlagworte, der Wunsch nach Kooperation richtete sich nicht nur an staatliche Stellen, sondern auch an die Privatwirtschaft und andere Unternehmen. Auch hier sollen die Behindertenorganisationen als gleichberechtigte Partner auftreten, die so manchem Unternehmen beispielsweise durch Werbeflaechen in ihren Publikationen eine neue Klientel erschliessen koennten.
Auch gehoeren die Neuen Medien, vor allem das Internet, zu Ottmars Steckenpferden. Aus einer seiner vielen Ideen entstand die "Kooperation Behinderter im Internet", die einige der wichtigsten Internetangebote der Selbsthilfebewegung zusammenfuehrt.
Nach dem Ende von Ottmars Amtszeit an der Spitze jenes Teils der Behindertenbewegung, der sich als neue, aufgeschlossene, junge und von verknoecherten Verbandsstrukturen freie Gemeinschaft praesentiert, wird sich einiges aendern. Ottmars besondere Persoenlichkeit hat dieser Bewegung einen tollen Start verpasst, auch und gerade zu einem Zeitpunkt, da die Foerderung der Behindertenarbeit durch staatliche Stellen aufgrund der leeren Kassen immer weiter zurueckgeht. Jetzt aber gilt es, das erreichte zu halten und auszubauen. Dabei wird uns eine treibende Kraft fuer eine Weile zumindest fehlen, die immer den Ueberblick und fast immer die Ruhe behielt, stand es auch noch so schlecht um ein Projekt oder eine Gruppe.
Ottmar Miles-Paul wird jetzt zunaechst ein halbes Jahr untertauchen, aber ich denke und hoffe, dass er dann wieder mit tollen Ideen und neuem Schwung in die Behindertenbewegung zurueckkehrt. Seine Kontakte zur Politik machen ihn geradezu praedestiniert fuer einen Lobbyarbeiter.
© 2000, Jens Bertrams