Welch ein Tag für Menschenrechte

Gedanken zur Freilassung Pinochet's

3. März 2000

Selten gab es ein so geteiltes Echo auf eine Haftverschonung wie bei der Freilassung des Chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet vor wenigen Tagen in London. 16 Monate hatte der einst brutale Gewaltherrscher von nun 84 Jahren unter britischem Hausarrest gestanden, während einige Länder seine Auslieferung beantragten, um ihn vor Gericht zu stellen. Letztlich wurde er aus gesundheitlichen Gründen in seine Heimat entlassen, wo ihn Anhänger als Nationalhelden begrüßten und seine Gegner ein Gerichtsverfahren in Chile selbst forderten. Sollte es zu einem solchen Verfahren kommen, wäre es möglich, daß Chile vor einer Zerreißprobe stünde.

In Deutschland reagierte die Presse uneinheitlich. Die einen feierten die Freilassung als einen Triumph demokratischer Spielregeln, auch und gerade gegenüber einem Mann, der diese Regeln mit Füßen getreten hatte, die anderen sprachen von einem "schwarzen Tag" für die Menschenrechte, weil sich der alte Spruch bewahrheite: "Diktatoren sind tabu."

Die Bewertung der Ereignisse ist tatsächlich nicht einfach, gerade aus der Sicht der Menschenrechte. Endlich, und das ist zu begrüßen, macht eine Regierung ernst mit ihrer Durchsetzung und nimmt einen Gewaltherrscher fest, endlich droht einem menschenverachtenden General ein gerichtliches Nachspiel. Böse Zungen sagen sofort: "Das ist nur Scharade, bald ist er wieder frei." Und tatsächlich, nach 16 Monaten wird der vierundachtzigjährige Mann freigelassen und fliegt in seine Heimat zurück. Welches Signal geht von diesen Ereignissen aus? War die Freilassung und der vorhergegangene Hausarrest nun eine Warnung an alle Diktatoren der Welt, oder gab sich die Demokratie mal wieder der Lächerlichkeit preis?

Meiner Ansicht nach müssen die Vorgänge um den Ex-Diktator differenziert betrachtet werden. Gut war, daß es überhaupt ein Auslieferungsverfahren gab. Wenn man sich auf diese demokratischen Spielregeln aber einläßt, dann muß man aber auch mit ihren humanistischen Konsequenzen leben. Wäre der General jünger und fitter gewesen, hätte die Auslieferung möglicherweise doch stattgefunden, und wir hätten nunmehr ein Beispiel dafür, daß demokratische Regierungen die Menschenrechte gegen Gewaltherrscher durchsetzen können. Aber da der Mann alt ist, wird sich das Problem Pinochet in einigen Jahren erledigen, und es gibt noch andere Generäle der alten Junta, die man zur Verantwortung ziehen kann. Eine demokratische Menschenrechtspolitik ist nicht allein schon deshalb ein Papiertiger, weil sie humanistisch ist. Bedenklich stimmt mich allein, daß Pinochet nur wenige Stunden im Krankenhaus zubrachte und dann auf eines seiner vielen Landgüter fuhr, und daß die Armee noch immer auf ihren General schwört. Die Frage nach dem Machtprimat in der Andenrepublik muß erst noch beantwortet werden, doch das hätte auch dann und in stärkerem Maße dann gegolten, wenn Pinochet verurteilt worden wäre.

Ich vermag nicht zu beurteilen, ob die Entscheidung des britischen Innenministers, den Ex-General ziehen zu lassen, nun richtig war oder nicht, sie wird juristisch korrekt gewesen sein. Einen "schwarzen Tag für die Menschenrechte" würde ich das Datum der Freilassung allerdings nicht nennen. Früher hätte es nicht einmal ein Auslieferungsverfahren gegen einen immunen Diplomaten gegeben, der Pinochet nun einmal war als Senator auf Lebenszeit. Die Weltgemeinschaft wird sich auf die Dauer entscheiden müssen, ob sie in der Lage ist, Gewaltherrschern keine internationale Immunität mehr zuzugestehen, und in dieser Hinsicht könnte der Fall Pinochet Vorbildcharakter besitzen.

© 2000, Jens Bertrams

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