Meine erste Sendung

Ich habe immer Radio machen wollen, von Kleinkind an. Immer wieder habe ich mich selbst im Sprechen und Moderieren geübt, habe meine Kasseten ausgepackt, Lieder zurechtgespult und meine Mutter mit stundenlangen Musik- und Informationssendungen beschallt. Ich habe auf Geburtstagen oder anderen Familienfesten den D. J. gespielt. Aber ich war schon 15 Jahre alt, als ich zum ersten mal die Räume einer Rundfunkanstalt betrat. Private Radiosender gab es noch nicht im September 1984, als ich mit meiner Klasse mal den WDR besuchte. Viel haben wir nicht zu sehen bekommen, aber wir schauten bei der Hörspielabteilung vorbei, und da bekam ich mit, wie im Hörspiel einige Geräusche entstanden. Fasziniert hat mich damals, das weiß ich noch, die Gewittermaschine. Das ganze war wie eine hohe Blechkiste mit dünnen Außenwänden, die beweglich waren. Nahm man eine der Außenwände und rüttelte daran, versetzten sich auch die anderen in Schwingung, und das ganze klang gut nach einem Gewitter. Bis dahin hatte ich tatsächlich angenommen, alle Geräusche müßten vorher real irgendwo aufgezeichnet und eingespielt werden. Auch dachte ich, um die Atmosphäre eines bestimmten Raumes zu erzeugen, Wohnzimmer oder Badezimmer, müßte man Hörspiele tatsächlich in verschiedenen Räumen aufnehmen. Aber auch hier wurde ich eines besseren belehrt. Die Stellwände mit den unterschiedlichen Beschichtungen, die unterschiedlichen, hintereinander angeordneten Bodenbeläge waren eine hervorragende Idee, um einen bestimmten räumlichen Eindruck zu erzeugen. Ich war begeistert. Mit meiner Klasse hatte ich nur wenige Monate zuvor ein eigenes Hörspiel aufgenommen. Aber wir hatten einfach einen Kassettenrekorder gehabt und mußten alle Geräusche selbst erzeugen und die Räume aussuchen, in denen wir aufzeichnungen machen wollten. Die Technik der Hörspielmacher des WDR begeisterte mich sehr, denn ich hatte auch immer qualitativ gute Hörspiele herstellen wollen.

Neun Jahre vergingen, bis ich wieder in einer Rundfunkanstalt zugegen war. Es handelte sich um das Studio von Radio RSG, dem Lokalsender meiner Heimatstadt Solingen. Dieser Sender hatte gerade eröffnet, und es wurde angeboten, daß man sich mal den Sendebetrieb ansehen könnte. Ich bat ebenfalls um eine Führung und wollte auch gern einmal bei einer Sendung dabei sein. Am Anfang schien es so, als ob die Tatsache, daß ich blind bin, die Leute abschreckte, dann aber luden sie mich zu einem Interview ein über meine Behinderung. Das paßte mir gar nicht, denn ich fand, daß behinderte Menschen nicht so etwas besonderes seien, daß man sie sozusagen ausstellen müßte. Aber ich ließ mich schließlich doch darauf ein, weil man mir versicherte, es solle einfach nur informativ und locker sein und ohne Sensationsmache. Das zumindest haben sie auch wirklich durchgehalten.

Ich lernte eine Menge über das sogenannte Lokalradio in Nordrhein-Westfalen an diesem Tag. Beispielsweise lernte ich, daß der Großteil des Programms zentral gemacht wurde, bei Radio NRW in Oberhausen. Radio NRW wurde als sogenanntes No-Name-Produkt gefahren, wenn es zwischendurch Programmidentifikationen wie Jingles und Werbung gab, dann wurden die Lokaljingles der einzelnen Sender gestartet, die alle gleich lang sein mußten und in gleicher Weise gemacht waren und immer noch sind. Damals sendete Radio RSG gerade einmal vier Stunden am Tag selbst, die restlichen Stunden kamen von Radio NRW, und man tat so, als sei dieses Programm lokal.

Im Gegensatz zu den öffentlich-rechtlichen Radiosendern verfügen die Lokalradios über sehr wenig Personal. Der Moderator macht auch gleichzeitig die Technik. Im WDR hatte ich gelernt, daß das unüblich war und der Moderator sich voll und ganz auf die Moderation konzentrieren muß. In dieser Sendung, der ich beiwohnte und in der ich interviewt wurde, war das ganz anders. Während die Lieder liefen, oder während die zentral gesteuerte Werbung ihr Recht verlangte, mußte der Moderator das nächste Lied suchen, das in seinem Ablaufplan vorgesehen war. Da keine Pausen entstehen sollten, mußte er von den Liedern, die einen rhythmuslosen Anfang hatten, diesen Anfang wegstreichen, die CD also erst einsetzen lassen, wo auch der Rhythmus einsetzte. Ich hörte zum ersten mal diese Studio-CD-Player, die man um hundertstel Sekunden vor- und zurückfahren lassen kann, um die richtige Stelle zum Einsteigen zu finden.

Und ich lernte, daß man während einer Sendung immer den Kopfhörer auf hat. Keine Ahnung, was ich vorher dachte. Eigentlich mußte es ja so sein, schon allein wegen der Selbstkontrolle und um keine Rückkopplungen entstehen zu lassen, wenn der Sender über einen Lautsprecher im Studio ging. Aber hier im lokalen Radio ohne Techniker hatte es damit noch eine andere Bewandnis. Im kopfhörer lief der Sender weiter, während über den Studiolautsprecher der CD-Player kam, auf dem das nächste Lied vorbereitet wurde. So wußten wir immer, wie weit das gerade laufende Lied war, und wieviel Zeit noch blieb, bis das nächste Lied oder einer der beiden Wortbeiträge an der Reihe waren.

Die Sendung fand ich so interessant, daß ich spontan fragte, ob es wohl für mich möglich sei, bei Radio RSG ein Praktikum zu machen. Ich weiß nicht, was sich der Chef darunter vorgestellt hat, aber er stimmte zu. Daß dieses "Praktikum" ein halbes Jahr später ein Flop wurde, steht auf einem anderen Blatt. Aber wichtig ist, daß ich wenigstens einige Dinge dort geschafft habe. Ich sprach zum erstenmal Beiträge im Rundfunk, auch wenn ich sie weder selbst recherchiert noch geschrieben hatte. Ich fühlte mich massiv unterfordert in diesem Praktikum. Statt mir die Möglichkeit zu geben, Beiträge zu recherchieren und zu schreiben, was ich auch mit meiner Behinderung gekonnt hätte, versuchte man, mir das Schneiden von Bändern per Hand beizubringen, und das Kleben von Bändern zu einem O-Ton. Das widerum war für mich extrem schwierig und brachte mir eigentlich nichts.

© 2002, Jens Bertrams


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