Wer glaubt, daß es leichter ist, Interviews zu geben, wenn man einmal weiß, wie sie gemacht werden, der hat sich getäuscht.
Fünf Jahre lang habe ich als Pressesprecher des BiGuB e. V. auch Rundfunkinterviews gegeben. Das erste nach dem sogenannten Kölner Urteil gegen eine Gruppe geistigbehinderter Männer in Düren, die sich nach Gerichtsbeschluß nur noch in seltenen Fällen im Freien in ihrem Garten aufhalten durften und dürfen, weil sie den Nachbarn, einen Musiklehrer, stören. Weil wir darüber sehr empört waren, haben wir vom BiGuB e. V. im Januar 1998 in Marburg eine Demonstration organisiert. Aus diesem Anlaß gab ich einige Interviews. Zum einen in der Frühschicht von Radio Unerhört Marburg, dem marburger freien Radio, am 19. Januar, und zum anderen in der Lumiere-Time, ebenfalls auf Radio Unerhört Marburg, am 25. Januar 1998. In diesen Sendungen stellte ich fest, wie schwierig es ist, in einem Interview die Fragen kurz und knapp zu beantworten. Da es sich um ein freies Radio handelt, waren die Redakteure der Frühschicht nicht besonders professionell, eher locker, was ganz angenehm war, aber deshalb gab es auch kein richtiges Vorgespräch, und es fehlte mir, im Gegensatz zu meinem allerersten Interview bei Radio RSG ein wenig der Leitfaden für meine Antworten. Das mußte ich erst langsam wieder lernen, denn als Pressesprecher des BiGuB e. V. hatte ich öfter Interviews zu geben, manchmal per Telefon, manchmal auch direkt live im Studio. Mir haben die direkten Interviews eigentlich immer besser gefallen. Es war wichtig für mich, einem echten Menschen direkt gegenüberzusitzen, einen Eindruck von der Person zu haben und mich auf sie einzustellen. Bei der Sendung Lumiere-Time am 25. Januar 1998, einen Tag nach BiGuB's erster öffentlicher Aktion, nämlich der Demonstration, von der ich eben sprach, gelang mir das besonders gut. Der Redakteur, Mark Karger, machte mit mir und den anderen Vorstandsmitgliedern von BiGuB, die ebenfalls dabei waren, ein Vorgespräch, aber sehr kurz. Ansonsten sprachen wir uns während der Lieder kurz ab. Das hat mir besonders gut gefallen, man konnte sich gegenseitig Bälle zuspielen, wir gestalteten die Sendung gewissermaßen mit, und Mark Karger gab uns sozusagen nur den roten Faden in die Hand.
Bei Interviews mit öffentlich-rechtlichen Sendern, oder auch mit den großen Privatsendern, ist das natürlich nicht möglich. Es ist und bleibt eine Eigenart des offenen, freien Radios, daß die Studiogäste bis zu einem gewissen Grad gestalterisch an der Sendung beteiligt sind. Bei den anderen Rundfunkanstalten ist der Ablaufplan sehr genau, und es ist nicht möglich, um 30 Sekunden zu überziehen. Darum ist auch ein sehr genaues Vorgespräch so wichtig, und deshalb sind Interviews auch so selten live.
Auch für das Fernsehen habe ich in dieser Zeit zwei Interviews gegeben. Immerhin eines ist davon auch gesendet worden, aber es wurde massiv gekürzt, weil ich zu langatmig war. Es ist eine Kunst, in diesem Medium ernste Aussagen kompakt zu bündeln und verständlich rüberzubringen.
In meiner Veröffentlichungsarbeit nahm vor allem das Internet breiten Raum ein. Auch dort mußte ich auf knappe und präzise Information achten, hatte aber immer genug Zeit dazu und mußte nicht schnell antworten. Trotzdem blieb der Wunsch in mir wach, selbst Rundfunk zu machen, in der einen oder anderen Weise. Es war nie ein echter Berufswunsch, eher so eine Art Hobby. Seit dem 25. August 2002 fröhne ich nun diesem Hobby einmal pro Woche, jeden Sonntagmorgen von 10 bis 12 Uhr in der Informationssendung für Blinde und Sehbehinderte in Marburg, die da heißt "Frequenzfieber".
© 2002, Jens Bertrams