Frequenzfieber: Was ist das?

"Frequenzfieber! - Wer es einmal hat, der wird es nie wieder los", verkündet der Werbeslogan auf der Internetseite der Lokalsendung für Blinde und Sehbehinderte in Marburg, die jeden Sonntag auf dem Lokalsender Radio Unerhört Marburg ausgestrahlt wird, der allgemein "Radio Ungehört Marburg" genannt wird, und zwar weil sich sein Hörerkreis in der 75.000 Einwohner zählenden Stadt nur auf rund 200 Hörer belaufen soll. Trotzdem verdient die Initiative Respekt, auch wenn sie seltsame Grundsätze verfolgt. Es handelt sich, was meiner Meinung nach vieles sagt, um ein linkes Radio, ein Radio also, das wiedereinmal viele der wirklich linken, gerechten Ideen in Verruf bringt. Nicht nur, daß beispielsweise eine Sendung, die für Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung eintritt "Kalaschnikov: Sendung für militanten Pazifismus" heißt, sondern die Toleranz hat auch da ihre Grenzen, wo es den Hauptverantwortlichen des sogenannten freien Radios gegen die eigene Meinung geht.

Metin Gemril, seit vielen Jahren in Marburg lebend, blind und Erfahren in Rundfunkdingen, weil er sowohl schon an einem sogenannten Piratensender, als auch an einem vollkommen legalen Bürgerfunk in Nordrhein-Westfalen beteiligt war, wollte auf Radio Unerhört Marburg im Jahre 1999 eine Sendung mit dem Namen "Frequenzfieber" beginnen. Es sollte eine Sendung mit lockerer Musik und etwas information sein, sollte auch interessante Beiträge bringen können. Die Hauptverantwortlichen von Radio Unerhört Marburg versuchten von Anfang an, Metin Gemril das Leben schwer zu machen. Nach ihrer Meinung muß Radio weh tun und darf keine leichte Kost sein. Radio soll keinen Spaß machen, sondern politisch sein. Und wenn schon Musik, dann bitte das, was in den Augen und Ohren der "Ungehörten" aus Marburg "ernste Musik", also "Musik mit Anspruch" ist. Was das ist, bestimmen sie natürlich selbst. Elektronische Musik nämlich kann durchaus dazugehören, aber was Metin bringen wollte, nämlich einfache Popmusik der sechziger, siebziger, achtziger und neunziger Jahre, das war zu flockig und locker. Nach einem Jahr Streit beschritt Metin Gemril dann den Umweg, der beide Seiten zufrieden stellte. Er bot ab Januar 2000 die Sendung "Frequenzfieber" an, eine "Sendung für blinde und sehbehinderte Menschen in Marburg". Beiträge von blinden Redakteurinnen und Redakteuren über Themen, die Blinde interessierten, wurden und werden in dieser Sendung gebracht, aber was die Zuhörer am meisten interessiert, ist zweifelsohne die Hörerhitparade. Da das Freie Radio Unerhört Marburg sich in seiner Satzung verpflichtet, Randgruppensendungen zuzulassen, die die Wirklichkeit der von der Gesellschaft benachteiligten Gruppen wiederspiegeln, konnte niemand mehr etwas gegen Frequenzfieber vorbringen. Die Sendung fällt beim militanten linken Radio aus dem Rahmen, und sie beantwortet die Frage auf deutliche Weise, warum die meisten Hörer sich der Umerziehung von Radio Unerhört, was ein erklärtes Ziel der RadiomacherInnen ist, widersetzen und doch die Dudelsender HR3 oder Radio FFH einschalten. Denn die Unterhaltung, die spannend aufbereitete Information, das alles fehlt bei Radio Unerhört. Sicher gibt es einige RadiomacherInnen, die sich viel Mühe mit ihren Sendungen machen. Aber in dem Moment, wo Radio anfängt, spritzig und lebendig zu werden bei Radio Unerhört, da werden die Oberen des Senders mißtrauisch und beginnen die innere Zensur.

Was ist nun diese im linken Radio so umstrittene Sendung wirklich? Jeden Sonntag von 10 bis 12 Uhr spielt Metin Gemril Lieder aus den achtziger und neunziger Jahren, veranstaltet eine Hörerhitparade mit fünf Plätzen und fünf Neuvorschlägen und strahlt eine Menge von Information und Unterhaltung aus. Da wären die Hörspieltipps für die kommende Woche. Wo gibt es im Radio interessante Hörspiele, die auch Blinde und Sehbehinderte interessieren könnten. Sie werden nicht gefiltert, sondern von einigen Sendern werden schlicht die Hörspieltermine aufgezählt. Dann gibt es auch die Übersicht über die Hörfilme der kommenden Woche. Hörfilme sind Filme, die im 2-kanal-Ton ausgestrahlt werden, wobei auf dem zweiten Kanal eine Bildbeschreibung für Blinde und hochgradig Sehbehinderte erfolgt. Es gibt jede Woche einen aus dem Englischen übersetzten Popsong, der von einem Mitglied der Redaktion selbst übersetzt wird. Dann gibt es den Frequenzfieber-Nachrichtenticker, mit journalistisch aufbereiteten Informationen, die für Blinde und Sehbehinderte interessant sind. Hauptlieferant für die Nachrichten ist die Behindertennachrichtenagentur kobinet.de. Wenn einmal längere Beiträge kommen, dann fallen manchmal auch Rubriken weg. Denn Metin Gemril lädt ein zur Sendung, man kann ihn besuchen. Pflicht ist lediglich, daß man dann auch ein paar Worte über den Sender sagt, ein paar Hörspieltipps liest oder ähnliches. Das ganze wird in einem lockeren Unterhaltungsstil präsentiert, der doch um Längen über dem Niveau der meisten Privatsender liegt, weil die Beiträge auch mal länger als 90 Sekunden sind und ernsthaft recherchiert und journalistisch gut aufbereitet präsentiert werden. Die interessanten Beiträge kommen, wie es sich für ein freies Radio gehört, sowohl aus der Hörerschaft, als auch aus der Redaktion.

Am 18. August 2002 war ich bei Frequenzfieber zu gast. Ich kannte die Sendung schon, hatte schon einige Male zugehört, war aber noch nie dabei gewesen. Ich kannte Metin flüchtig aus meiner Schulzeit. Wir teilen die Begeisterung für Perry Rhodan und den Rundfunk, mögen beide die Musik der siebziger und achtziger Jahre und verstehen uns auch sonst gut. Ich hatte ihn und den Nachrichtenmann der Sendung, Stefan Müller, gebeten, mit mir ein Interview über meinen Arbeitskreis barrierefreies internet zu machen. Aber weil die Sendung an diesem Tag voll war, kamen wir nicht dazu. Trotzdem scheute ich mich nicht, ein paar Kommentare in die Moderation zu werfen, und einen Großteil der umfangreichen Hörspieltipps zu lesen, obwohl das für mich eine Qual war, denn ich kann nur gut lesen, wenn ich mir die Sache mindestens zehn mal vorher durchgelesen habe. Wenige Tage später fragte mich Metin ganz überraschend, ob ich nicht lust habe, in die Redaktion der Sendung einzutreten. Wie man sich denken kann, nahm ich dieses Angebot mit Freuden an. Und seit der Sendung vom 25. August 2002 bin ich vollwertiges Redaktionsmitglied bei Frequenzfieber.

© 2002, Jens Bertrams

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