Im Jahre 1948 ging einmal eine Meldung durch die Wochenschau, daß ein amerikanischer Soldat in einer Botschaft seines Landes seine Ausweispapiere abgegeben habe und damit staatenlos geworden sei. Der Name des Mannes war Gery Davis. Er war im zweiten Weltkrieg Flieger gewesen und verabscheute die Schrecken des Krieges. Mit einer kleinen Gruppe von Anhängern gründete er pressewirksam die "Weltregierung der Weltbürger" und wurde selbst zum Ersten Weltbürger erklärt, stellte sich selbst den ersten Paß als Weltbürger aus. Die Idee lag im Trend: Nach dem Krieg wollten viele einen Weltfrieden, weltumspannende Sicherheit und so weiter. Davis erkannte dies und begann, Weltbürgerausweise auszustellen, die er an bekannte Persönlichkeiten übergab. Nach einigen Jahren der Geldbeschaffung ging die Paßproduktion in Serie, tausende und abertausende Menschen, vor allem Flüchtlinge, suchten ihn auf, wollten einen Paß, um sich in Sicherheit zu bringen. Im Laufe der Zeit nahm die "Weltregierung der Weltbürger" und ihre Dienstbehörde, die "World Service Authority" auch Kontakt mit verschiedenen Staaten auf und bewirkte, daß die Weltbürgerausweise von diesen offiziell anerkannt wurden. In weit mehr als 100 Staaten dieser Erde, ausgenommen die Europäische Union und die Vereinigten Staaten, duldet man diese Ausweise mittlerweile stillschweigend als gültig, aber heutzutage begegnet man wohl nur noch wenigen Tausend. Immerhin, Davis und seine Leute leben vom Paß-Ausstellen. Die politische Ausarbeitung des Weltbürgergedankens ist bei der Davis-Riege hingegen nicht besonders weit vorangeschritten. Man ruht sich lieber auf alten Loorbeeren aus, zum Beispiel darauf, daß sich im Frühjahr 1950 die deutsche Stadt Königswinter bei Bonn zur ersten "Weltbürgerstadt" erklärte.
Im Februar 1992 führte ich einige Gespräche mit Gery Davis und bekam den Eindruck, daß er ein Mann geworden war, der mit seinem Auskommen zufrieden war und nicht vorhatte, die Idee noch weiterzutragen. Er war davon überzeugt, daß er genau das Richtige in seinem Leben getan hatte, und er glaubte, der Beweis dafür sei, daß man ihn als Staatenlosen einige Male ins Gefängnis gesteckt hatte, als er mit seinem Weltbürgerausweis eine Grenze überqueren wollte. Sein spektakulärster Auftritt war mit Sicherheit die kurze Rede vor den Vereinten Nationen, die er durch List und Tücke hatte halten können, bevor ihn die Sicherheitskräfte aus dem Saal führten.
Sicherlich ist Gery Davis ein interessanter Mann. Für viele Menschen, die ohne Pässe aus ihrem Land fliehen mußten, entwickelte er sich zur letzten Zuflucht, die sogar manchmal etwas bewirken konnte. Aber seine egozentrische Sichtweise, das ewige Selbstfeiern des Mannes, der einige spektakuläre Auftritte hatte, ansonsten aber unbekannt blieb, verhindern das Fortkommen seiner Idee einer geeinten, von Grenzen befreiten Welt.